Zieloffene Suchtarbeit mit alkoholabhängigen Wohnungslosen: Das Projekt "WALK"


1. Alkoholabhängigkeit bei Wohnungslosen
1.1 Prävalenz
Alkoholismus stellt das mit Abstand häufigste Krankheitsbild unter Wohnungslosen dar (Fichter, Quadflieg & Cuntz, 2000). Entsprechend einer repräsentativen Studie in München weist mehr als die Hälfte der Wohnungslosen (58,4%) eine aktuelle Alkoholabhängigkeit auf (Lifetime: 72,7%; Fichter et al., 2000), gefolgt von affektiven Störungen (16,3%), Angststörungen (11,6%) und psychotischen Erkrankungen (6,6%). Für Wohnungslose anderer deutscher Städte werden ähnlich hohe Raten von Personen mit aktuell bestehender Alkoholabhängigkeit berichtet (z.B. Berlin: 68,1%, zusätzlich 17,4% mit schädlichem Gebrauch [Podschus & Dufeu, 1995]; Mannheim: 55,9% [Salize et al., 2003]; Münster: 64% [Reker & Eikelmann, 1997]). Gemäß den Berechnungen von Salize et al. (2003) "erhöht eine aktuelle oder zurückliegende Alkoholabhängigkeit oder -missbrauch das somatische Erkrankungsrisiko [Wohnungsloser] um mehr als das Vierfache" (S. 56). Daneben finden sich sehr häufig soziale und psychische Auffälligkeiten, wie etwa Straffälligkeit (bei 81,6% der Berliner Stichprobe von Podschus und Dufeu, 1995), Schlägereien (61,2%) oder Führerscheinentzug (40,8%) und kognitive Beeinträchtigungen (a.a.O.).

1.2 Versorgungssituation Der durch die vorherigen Daten nahe gelegte Behandlungsbedarf kontrastiert eklatant mit der Versorgungsrealität: Nur ein geringer Teil der Wohnungslosen erhält im Hinblick auf seine somatischen, psychischen und sozialen Suchtschädigungen irgendwelche Hilfen. In der Erhebung von Salize et al. (2003) waren zum Beispiel 69,8% der Mannheimer Wohnungslosen ohne jegliche medizinische Behandlung. Die suchtbezogenen somatischen Erkrankungen bleiben somit oftmals unerkannt und chronifizieren.
Ebenso wenig ist eine Anbindung Wohnungsloser an die traditionelle, auf der Basis einer Komm-Struktur arbeitenden und dem Abstinenzziel verpflichteten Suchthilfe gegeben. Die Suchthilfe hat es bislang versäumt, auf die Klientel der alkoholabhängigen Wohnungslosen zugeschnittene niedrigschwellige Hilfeangebote zu entwickeln. Wenige Ausnahmen (z.B. Gosdschan, Keck, Liedholz & Nägele, 2002) bestätigen die Regel.
Doch auch die Wohnungslosenhilfe selbst hat die Bearbeitung der Alkoholprobleme ihrer Klientel bislang aus ihrer Arbeit ausgeklammert. "Die Wohnungslosenhilfe übernimmt ... die Sichtweise des Süchtigen, indem sie eine vom alkoholabhängigen Wohnungslosen gewünschte Vermittlung in Wohnraum als zentrale Aufgabe ansieht" (a.a.O., S. 14) - nach Gosdschan et al. eine "fundamentale Fehleinschätzung" (S. 14): "Denn im Zentrum der Hilfe für diese Klientel muss die Bearbeitung der Suchtmittelabhängigkeit und nicht die Frage der Wohnraumbeschaffung stehen" (S. 14), weil ein entgleister Alkoholkonsum sehr oft die Wohnfähigkeit erheblich beeinträchtigt.
Es bleibt zu resümieren, dass Wohnungslose eine stetige Verschlechterung ihrer Alkoholproblematik erleben, ohne dass sich die Suchthilfe, das medizinische Versorgungssystem oder die Wohnungslosenhilfe für zuständig oder in der Lage sähen, diese Problematik "anzugehen".

1.3 Motivationsfördernde Interventionen
Eine nachhaltige Bearbeitung der Suchtproblematik Wohnungsloser muss Betroffene zu Beteiligten machen, das heißt ihre Eigenmotivation für eine Veränderung gewinnen (Fichter et al., 2000; Podschus & Dufeu, 1995). Wie Gosdschan und KollegInnen (2002) zu Recht feststellen, gibt es kaum eine Alternative dazu, mit dieser Motivationsarbeit vor Ort, das heißt in der Wohnungslosenhilfe selbst, anzusetzen. "Denn es ist unstrittig, dass - wenn überhaupt - nur die Wohnungslosenhilfe mit ihren Angeboten Zugang zu diesem [sic] Klientel findet" (S. 6). Und hier genau liegt ein Problem: Der Qualifizierungsgrad in punkto Sucht ist unter MitarbeiterInnen der Wohnungslosenhilfe gering. Neben der von Gosdschan et al. konstatierten "grundlegende[n] Unkenntnis über Sucht" (S. 6) mangelt es bislang vor allem an praktischen Interventionsfertigkeiten bei Suchtproblemen. Gefordert sind u.a. Gesprächskompetenzen, um bei Wohnungslosen Interesse statt Widerstand an der Auseinandersetzung mit ihrem Alkoholkonsum hervorzurufen, ihre Änderungsmotivation zu fördern und Veränderungsschritte aktiv zu begleiten (bzw. in weitergehende Suchtbehandlungen zu vermitteln ). Nach unseren Erfahrungen ist diese suchtbezogene Professionalisierung sowohl machbar als auch Erfolg versprechend (s.u.).

1.4 Zieloffene Suchtarbeit
Ein völliger Verzicht auf Alkohol wäre für die Klientel der Wohnungslosenhilfe allein schon aus gesundheitlichen Gründen bedenkenswert, findet jedoch bei den Betroffenen kaum Widerhall. Viele Wohnungslose lassen sich auf einen Veränderungsprozess gar nicht erst ein, wenn sie sich auf das Ziel "nie mehr Alkohol" festgelegt fühlen - sei es, weil sie durch wiederholte Rückfälligkeit und negative Erfahrungen während Abstinenzbehandlungen entmutigt worden sind oder in ihrer momentanen Lebenssituation auf Alkohol nicht vollständig verzichten wollen oder können. Suchtarbeit mit Wohnungslosen sollte deshalb zieloffen ausgerichtet sein. Dies bedeutet, dass der Klient nicht von vornherein auf das Ziel der Abstinenz festlegt wird, sondern ihm Zieloptionen - unveränderte Fortführung des bisherigen Konsums, kontrolliert-reduzierter Konsum, zeitweise Abstinenz, dauerhafte Abstinenz - angeboten werden.

2. Einführung von zieloffener Suchtarbeit in Einrichtungen des Katholischen Männerfürsorgevereins München
Ausgehend von den zuvor formulierten Desiderata hat der Katholische Männerfürsorgeverein München e.V. (KMFV; www.kmfv.de) zusammen mit der Quest Akademie Heidelberg im Mai 2003 das Projekt "WALK" ("Wohnungslosigkeit und Alkohol: Einführung zieloffener Suchtarbeit in Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe des Katholischen Männerfürsorgevereins München") begonnen. Ziel des Projektes ist es, im Rahmen einer Organisationsentwicklungsmaßnahme die pädagogischen KMFV-MitarbeiterInnen zu schulen und sie dadurch in die Lage zu versetzen, die von ihnen betreuten Wohnungslosen auf ihre Alkoholproblematik anzusprechen, ihre Veränderungsmotivation zu fördern und sie beim Erreichen einer Alkoholreduktion bzw. Abstinenz zu unterstützen (vgl. auch Berndt, 2003). Im Folgenden werden die beteiligten Einrichtungen des KMFV sowie Aufbau, Inhalte und erste Ergebnisse des Projekts "WALK" dargestellt.

2.1 Die Wohn- und Betreuungsangebote des KMFV
Der KMFV hält für seine Klientel ein differenziertes stationäres und ambulantes Hilfeangebot vor. Insgesamt werden über 500 Wohnungslose in stationären Einrichtungen sowie ca. 1500 Wohnungslose und 1300 Strafentlassene in ambulanten Stellen erreicht. Bei den am Projekt beteiligten 12 Einrichtungen handelt es sich um folgende "nasse" Einrichtungen, in denen Alkohol getrunken werden darf, bzw. um "halbnasse", in denen Alkoholkonsum nur außerhalb der Einrichtungen gestattet ist:

  • Das Unterkunftsheim Pilgersheimer Straße (153 Betten) steht Wohnungslosen für kurzfristige und kurzzeitige Übernachtungen zur Verfügung (durchschnittliche Aufenthaltsdauer 44 Tage).
  • In drei weiteren niederschwelligen Einrichtungen (Haus an der Chiemgaustraße, Haus an der Kyreinstraße, Haus an der Pistorinistraße) mit 266 Plätzen ist eine längere Verweildauer möglich (Durchschnitt: drei Jahre). Die Bewohner sind meist alkoholabhängig und/oder psychisch krank.
  • In vier Einrichtungen für ältere wohnungslose Menschen (Haus an der Franziskanerstraße, Haus an der Gabelsbergerstraße, Haus St. Benno, Haus Wittibsmühle) werden 175 ehemals wohnungslose ältere Menschen betreut, die meist auch ihren Lebensabend in den Einrichtungen verbringen.
  • In den beiden beteiligten Resozialisierungseinrichtungen (Adolf-Mathes- und Anton-Henneka-Haus) leben ca. 100 Wohnungslose. Ziel ist deren Wiedereingliederung in das Erwerbsleben. Es werden Klienten aufgenommen, bei denen zu erwarten ist, dass sie Tagesstruktur und Pünktlichkeit einhalten werden können und über ein entsprechende Leistungs- und Belastungs-potential verfügen. Der Aufenthalt beträgt im Durchschnitt 12 Monate.
  • Der "Soziale Beratungsdienst" ist eine zentrale ambulante Anlauf- und Clearingstelle, die einmalige Informationsgespräche, Soforthilfen und längerfristige Betreuungsverhältnisse anbietet. Seine Dienste werden pro Jahr von ca. 1250 wohnungslosen Männern in Anspruch genommen.
  • Die "Münchner Zentralstelle für Strafentlassenenhilfe" (MZS) betreut in vier Arbeitsfeldern ca. 1680 Strafentlassene pro Jahr. Zur MZS gehört die Suchtberatung für Gefangene in drei Justizvollzugsanstalten.



2.2 Schulung der pädagogischen Fachkräfte
Zwischen Juli 2003 und Februar 2004 sind ca. 80 pädagogische Fachkräfte (in der Regel Sozialpädagog*innen und Sozialarbeiter*innen) der o.g. 12 Einrichtungen des KMFV geschult worden. Entsprechend den Zielsetzungen des Projektes (Befähigung der Mitarbeiter*innen zu einem einladenden Ansprechen der Alkoholthematik, zur Förderung der Änderungsmotivation und zur Durchführung zieloffener Programme) umfasste die Schulung zwei inhaltliche Schwerpunkte: Motivational Interviewing und Programme zur zieloffenen Suchtarbeit. Die Schulungen erfolgten in Gruppen von ca. 15 Personen. Jede Gruppe erhielt innerhalb eines Zeitraums von drei bis vier Monaten 10 Schulungstage, die auf drei Zeitblöcke verteilt waren (4+3+3 Tage).

2.2.1 Motivational Interviewing
Zur Förderung der Bereitschaft Wohnungsloser, sich überhaupt erst einmal auf eine Auseinandersetzung mit der eigenen Alkoholproblematik einzulassen und sodann Motivation für eine Änderung aufzubauen, eignet sich in besonderer Weise das von Miller und Rollnick entwickelte Gesprächsführungskonzept des "Motivational Interviewing" (MI, Körkel & Drinkmann, 2002; Körkel & Veltrup, 2003; Miller & Rollnick, 1991, 2002). In der Suchtarbeit mit Wohnungslosen erweisen sich u.a. drei Bestandteile des MI-Ansatzes, nämlich Ambivalenzen in Bezug auf eine Änderung herauszuarbeiten, Widerstand zu vermeiden (bzw. mit aufkommendem Widerstand geschmeidig umzugehen) und Wahlmöglichkeiten in Bezug auf den zukünftigen Umgang mit Alkohol zuzulassen, als von besonderem Wert.

2.2.2 Programme zur zieloffenen Suchtarbeit
Neben der MI-Schulung beinhaltete die Fortbildung der KMFV-Mitarbeiter*innen das Erlernen der Anwendung von Programmen zur zieloffenen Suchtarbeit. Das heißt: Die MitarbeiterInnen sollten befähigt werden, Klienten entweder in abstinenzorientierte Suchthilfeeinrichtungen zu vermitteln oder mit ihnen Programme zum kontrollierten Trinken durchzuführen. Da die Zusammenarbeit mit Abstinenzeinrichtungen (u.a. den drei Fachkliniken des KMFV) ohnehin gegeben ist, konnte sich die Schulung auf die Durchführung von Programmen zum kontrollierten Trinken (kT) konzentrieren.

Im Rahmen der KMFV-Schulungen wurde die Anwendung der folgenden deutschsprachigen kT-Programme vermittelt, die sich auf die international nachgewiesene Effektivität derartiger Programme stützen können (vgl. Körkel, 2002; Saladin & Santa Ana, 2004; Walters, 2000; www.kontrolliertes-trinken.de).

  • Das "10-Schritte-Programm" (Körkel, 2003) ist ein 100 Seiten umfassendes Selbstlernprogramm, das ohne therapeutische Unterstützung die Trinkmenge reduzieren helfen kann (König & Wemhöner, 2004). Die Bearbeitung setzt Selbstdisziplin und entsprechende kognitive Ressourcen voraus, was dem Einsatz dieses Programms in der Wohnungslosenhilfe Grenzen setzt.



Die für kontrolliertes Trinken erforderlichen Kompetenzen werden ebenfalls in den therapeutisch begleiteten Programmen "AkT" und "EkT" vermittelt:

  • Das "Ambulante Gruppenprogramm zum kontrollierten Trinken" (AkT; Körkel & Projektgruppe kT, 2001; Körkel, Schellberg, Haberacker, Langguth & Neu, 2002) umfasst 10 wöchentliche, inhaltlich und didaktisch standardisierte Gruppentermine (max. 12-14 Teilnehmer) à 2¼ Stunden. Die Gruppenleitung erfolgt durch ein bis zwei im AkT fortgebildete Suchtfachkräfte, denen ein umfangreiches AkT-Trainermanual mit Durchführungshinweisen und Zeitangaben für die einzelnen Abschnitte jeder Sitzung sowie Arbeits- und Informationsbögen zur Verfügung steht.
  • Das 10 Sitzungen à 60 Minuten umfassende "Ambulante Einzelprogramm zum kontrollierten Trinken" (EkT; Gehring & Projektgruppe kT, 2003) ist inhaltlich im Wesentlichen mit dem AkT identisch und ebenfalls manualisiert. Das EkT eignet sich besonders für Betroffene, die eine (intensivere) Einzelbetreuung wünschen oder benötigen bzw. die nicht an einer Gruppe teilnehmen möchten oder können. Die im EkT fortgebildete Suchtfachkraft kann die Inhalte der einzelnen Sitzungen den individuellen Fortschritten des Klienten anpassen und die Zeitstruktur flexibel verändern (z.B. den Begleitungsprozess auf mehr als 10 Sitzungen ausdehnen).
  • Die drei genannten Programme werden ergänzt um das "WALK-Handbuch" (GK Quest Akademie & Projektgruppe kT, 2004). Das WALK-Handbuch wurde speziell für die Einzel- und Gruppenarbeit mit Wohnungslosen entwickelt. In ihm sind auf ca. 50 Seiten (plus 50 Seiten Anhang) zentrale Arbeits- und Informationsblätter zum Erlernen des kontrollierten Trinkens mit vielen Visualisierungen und wenig Text versehen worden, so dass es speziell bei geringen kognitiven und sprachlichen Fähigkeiten gut verwendbar ist.



Die zuvor beschriebenen Programme bieten ein breites Anwendungsfeld. Sie werden in den beteiligten KMFV-Einrichtungen je nach Voraussetzungen des einzelnen Klienten (kognitive und psychische Funktionsfähigkeit, "Gruppenfähigkeit" etc.), eigenen Arbeitspräferenzen (z.B. für Einzel- oder Gruppenarbeit) sowie den Bedingungen vor Ort (z.B.: Sind genügend Teilnehmer zur Durchführung eine AkT-Gruppe verfügbar?) flexibel eingesetzt.

2.2.3 Qualität der Schulungen
Am Ende jedes Schulungsblocks von 3-4 Tagen wurden die teilnehmenden pädagogischen Fachkräfte des KMFV gebeten, in einem anonym auszufüllenden Fragebogen ihre Zufriedenheit mit 10 verschiedenen Seminaraspekten (wie "Kompetenzzuwachs", "Praxisnähe", "schriftliche Unterlagen" etc.) sowie ihre Gesamtzufriedenheit auf einer sechsstufigen Skala (von -3 ["sehr unzufrieden"] bis +3 ["sehr zufrieden"]) einzuschätzen. Wie Abbildung 1 zeigt, wurde die Qualität der Schulungsmaßnahmen ausgesprochen positiv beurteilt (Gesamturteil: 2,4; Einzeleinschätzungen: Bewertungsrange von 1,8 bis 2,6).

Abb. 1



3. Wissenschaftliche Gesamtevaluation des Projekts "WALK"
Das Modellprojekt wird im Sinne einer Praxisforschung wissenschaftlich begleitet und evaluiert. Im Rahmen der wissenschaftlichen Begleitung wurden Standards für Teilnehmer-Gewinnung, Indikationsstellung, Diagnostik, Therapieverlauf und Nachuntersuchung formuliert.
Die wissenschaftliche Begleitung folgt den folgenden Projektetappen:

  • Januar 2004 - März 2005: Information der Klient*innen über die neuen kT-Angebote (Stand Juli 2004: 552 durchgeführte Einzel-Informationsgespräche; vgl. Abbildung 2 mit Aufschlüsselung nach den Einrichtungstypen).
  • Bei Interesse am Projekt und vorhandener Indikation: Eingangsdiagnostik (mit einem somatischen Teil in Form des Gesundheitsberichts durch den Hausarzt sowie einem psychosozialen Teil, der als Selbst- und Fremdeinschätzung innerhalb der betreuenden Einrichtung des KMFV erhoben wird; vgl. Tabelle 1). Bis Juli 2004 wurden 105 Diagnostikgespräche abgeschlossen, weitere 52 befinden sich vor der Durchführung (vgl. Abbildung 2).
  • Ab Februar 2004: Applikation der kT-Einheiten in individuell angepasster Form mit genauer Verlaufsdokumentation in Form von Sitzungsprotokollen sowie programmbegleitend tägliche Protokollierung des Alkoholkonsums (mit wöchentlichen Zwischenauswertungen zu den drei zentralen Zielgrößen "Trinkmenge pro Woche", "Anzahl trinkfreier Tage" und "maximale Alkoholmenge pro Trinktag").
    Bis zum jetzigen Zeitpunkt (Juli 2004) befinden sich 59 wohnungslose Männer in einem kT-Programm oder haben dieses bereits abgeschlossen. Ein Start für weitere 45 Personen steht unmittelbar bevor (vgl. Abbildung 2).
  • Sechs und zwölf Monate nach individuellem Programmbeginn erfolgt eine Evaluation der eingetretenen Veränderungen (in Form von Selbsteinschätzungen, Fremdeinschätzungen durch die Trainer sowie ärztlicher Untersuchung) mittels der in der Eingangsdiagnostik eingesetzten Instrumente und zusätzlicher Katamnesefragen.



4. Erste Erfahrungen mit der Projektumsetzung und Ausblick
Die Einführung und Umsetzung der kT-Programme ist zwischenzeitlich (Juli 2004) in allen beteiligten 12 Einrichtungen begonnen worden. Das Interesse der Klienten an den kT-Programmen schlägt sich in einer beachtlichen Zahl von bislang erfolgten Diagnostikgesprächen und Programmstarts nieder (vgl. Abbildung 2). Ein mit den Einrichtungsleitungen durchgeführtes strukturiertes Interview vier Monate nach Start der kT-Programme zeigt, dass kT mehrheitlich als zusätzliches Hilfeangebot geschätzt wird.

Abb. 2



AkT-Gruppen wurden in den niedrigschwelligen Wohnheimen, den Resozialisierungseinrichtungen sowie dem Unterkunftsheim Pilgersheimerstraße begonnen und teilweise bereits abgeschlossen. Die Gruppengröße betrug max. 7 Teilnehmer. Für die MitarbeiterInnen waren das große Interesse an den AkT-Angeboten und die Gruppenverläufe überraschend: Die Gruppen fanden unter großer innerer Beteiligung der Teilnehmer statt, die Teilnehmer waren fast zu allen Terminen anwesend und die Abbruchquoten fielen gering aus (vgl. auch Ballweg & Reindl, in Druck).
Das Einzelprogramm zum kontrollierten Trinken (EkT) wird im Rahmen dieses Projektes bislang in einer niedrigschwelligen und einer Resozialisierungseinrichtung durchgeführt, wobei das WALK-Handbuch zum Einsatz kommt.
Deutlich wurde die Notwendigkeit, ein modifiziertes kT-Programm für Gefangene in Justizvollzugsanstalten, bei denen die Einübung des kontrollierten Trinkens (mit wöchentlicher Zielfestlegung und Trinktagebuchführung) aktuell nicht möglich ist, zu erarbeiten. Zudem stehen Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der im Programmverlauf erreichten Veränderungen an, wie etwa angeleitete Selbsthilfegruppen und die kontinuierliche Wiederholung ausgewählter Programminhalte. Für den ambulanten Bereich erweist sich der Einsatz von Kurzinterventionen als erforderlich.
Insgesamt betrachtet, sprechen die ersten Zwischenergebnisse dafür, den im Projekt "WALK" gewählten Zugang zur Gruppe alkoholabhängiger Wohnungsloser fortzusetzen. Das Projekt verspricht, einen Teil der von Reker und Eikelmann (1997) sowie von Gosdschan et al. (2002) im Bereich der Wohnungslosenhilfe ausgemachten versorgungspraktischen wie wissenschaftlichen Defizite ausgleichen zu können.

Literatur
Albrecht, G. (1981). Nichseßhaftigkeit und Sucht. In W. Feuerlein (Hrsg.), Sozialisationsstörungen und Sucht (S. 63 - 94). Berlin: Springer.
Ballweg, T. & Reindl, R. (in Druck). Innovative Suchtberatungskonzepte in der Arbeit mit Straffälligen und Wohnungslosen. Ein Werkstattbericht. In Fachverband Sucht (Hrsg.), Perspektiven für Suchtkranke: Teilhabe fördern, fordern, sichern. Geesthacht: Neuland.
Berndt, Ch. (2003). Nüchternes Konzept. Mit "Kontrolliertem Trinken" sollen erstmals auch schwerstabhängige Alkoholiker lernen, ihren Konsum zu drosseln. Süddeutsche Zeitung Nr. 284 vom 10.12.2003.
Fichter, M., Quadflieg, N. & Cuntz, U. (2000). Prävalenz körperlicher und seelischer Erkrankungen. Daten einer repräsentativen Stickprobe obdachloser Männer. Deutsches Ärzteblatt, 97:A-1148-1154 (Heft 17).
Gehring, U. & Projektgruppe kT (2003). Trainer-Manual für das "Ambulante Einzelprogramm zum kontrollierten Trinken (EkT)". Heidelberg: GK Quest Akademie (info@gk-quest.de).
GK Quest Akademie & Projektgruppe kT (2004). Handbuch zum kontrollierten Trinken. Heidelberg: GK Quest Akademie (info@gk-quest.de).
Gosdschan, S., Keck, F., Liedholz, U. & Nägele, A. (2002). Alkoholabhängigkeit und Wohnungslosigkeit. (Reihe Materialien zur Wohnungslosenhilfe, Heft 52). Bielefeld: Verlag Soziale Hilfe.
Gsellhofer, B., Küfner, H., Vogt, M. & Weiler, D. (1997). European Addiction Severity Index (EuropASI). Manual für Training und Durchführung. Hohengehren: Schneider.
König, D. & Wehmhöner, M. (2004). Das 10-Schritte-Programm zum kontrollierten Trinken. Die BKK, 3, 115-118.
Körkel, J. (2002). Kontrolliertes Trinken: Eine Übersicht. Suchttherapie, 3, 87-96.
Körkel, J. (2003). Das 10-Schritte-Programm zum selbstständigen Erlernen des kontrollierten Trinkens. (2. Auflage) (unter www.kontrolliertes-trinken.de).
Körkel, J. & Drinkmann, A. (2002). Wie motiviert man "unmotivierte" Klienten? Sozialmagazin, 27, 26-34.
Körkel, J. & Projektgruppe kT (2001). Trainer-Manual für das "Ambulante Gruppenprogramm zum kontrollierten Trinken (AkT)". Heidelberg: GK Quest Akademie (info@gk-quest.de).
Körkel, J., Schellberg, B., Haberacker, K., Langguth, W. & Neu, B. (2002). Das "Ambulante Gruppenprogramm zum kontrollierten Trinken (AkT)". Suchttherapie, 3, 112-116.
Körkel, J. & Schindler, Ch. (1997). Zielskala. Nürnberg. (Unveröffentlichtes Manuskript).
Körkel, J. & Veltrup, C. (2003). Motivational Interviewing: Eine Übersicht. Suchttherapie, 4, 115-124.
Miller, W. R. & Rollnick, C. (1991). Motivational interviewing. Preparing people to change addictive behavior. New York: Guilford (Deutsch: Motivierende Gesprächsführung. Freiburg: Lambertus, 1999).
Miller, W. R. & Rollnick, S. (2002). Motivational interviewing. Preparing people for change (2nd edition). New York: Guilford.
Podschus, J. & Dufeu, P. (1995). Alkoholabhängigkeit unter wohnungslosen Männern in Berlin. Sucht, 41, 348-354.
Reker, T. & Eikelmann, B. (1997). Wohnungslosigkeit, psychische Erkrankungen und psychiatrischer Versorgungsbedarf. Deutsches Ärzteblatt, 94:A-1439-1441 (Heft 21).
Rüffer, J.-U. (2003). KPS: Karnofsky Performance Status. In J. Schumacher, A. Klaiberg & E. Brähler (Hrsg.), Diagnostische Verfahren zu Lebensqualität und Wohlbefinden (S. 192-194). Göttingen: Hogrefe.
Saladin, M.E. & Santa Ana, E.J. (2004). Controlled drinking: more than just a controversy. Current Opinion in Psychiatry, 17, 175-187.
Salize, H.J., Dillmann-Lange, C. & Kentner-Figura, B. (2003). Alkoholabhängigkeit und somatische Komorbidität bei alleinstehenden Wohnungslosen. Sucht aktuell, 10, 52-57.
Saß, H., Wittchen, H.-U. & Zaudig, M.. (1998). Diagnostisches und Statistisches Manual Psychischer Störungen DSM-IV. Göttingen: Hogrefe.
Stockwell, T., Murphy, D. & Hodgson, R. (1983). The Severity of Alcohol Dependence Questionnaire (SADQ): Its use, reliability and validity. British Journal of Addiction, 78, 145-156.
v. Steinbüchel, N., Bullinger, M. & Kirchberger, I. (1999). Die Münchner Lebensqualitätsdimensionenliste (MLDL). Entwicklung und Prüfung eines Verfahrens zur krankheitsübergreifenden Erfassung der Lebensqualität. Zeitschrift für Medizinische Psychologie, 3, 99-112.
Wittchen, H.-U. & Pfister, H. (1997). DIA-X-Interview. Instruktionsmanual zur Durchführung von DIA-X-Interviews. Frankfurt: Swets Test Services.

> zurück