Einsatz von kT-Programmen in der ärztlichen Praxis

1.Erkennen problematischen Alkoholkonsums
2.Zielabklärung: Abstinenz oder kontrollierter Konsum?
3.Behandlung mit dem Ziel des kontrollierten Trinkens
3.1Sensibilisierung durch schriftliches Material
3.2Qualifizierte ärztliche Empfehlung ("Ratschlag")
3.3Ärztlicher Ratschlag plus schriftliches Selbstkontrollprogramm
3.4Abfolge ärztlicher Gespräche entlang eines Leitfadens
3.5Intensivere Gruppen- und Einzelprogramme (Änderung vorgenommen)
4.Resümee
5.Literatur
6.Seminarempfehlung


Überhöhter Alkoholkonsum mit weitreichenden Folgen für die somatische und psychische Gesundheit des Konsumenten und seines sozialen Umfeldes ist in Deutschland weit verbreitet. Das medizinische Behandlungssystem kommt mit der Mehrzahl dieses Personenkreises in Kontakt und hat dementsprechend die Chance, alkoholbezogene Probleme zu thematisieren und zu minimieren. Unter ärztlicher Perspektive sollten dabei nicht nur die bereits eingetretene Störung (Alkoholmissbrauch/-abhängigkeit), sondern deren Vorformen im Sinne des riskanten Konsums (20- bzw. 30-40g-Grenze) ins Blickfeld gerückt werden.

1. Erkennen problematischen Alkoholkonsums

Sofern alkoholbezogene Konsummuster im zuvor umschriebenen Sinne als Gegenstand ärztlicher Interventionen angesehen werden, stellt sich als erstes die Aufgabe, diesen problematischen Konsum zu erkennen. Anhaltspunkte dafür ergeben sich aus evidenten klinischen Symptomen, wie etwa akuter Alkoholintoxikation ("Alkoholfahne"), Tremor, vermehrter Gefäßzeichnung im Gesicht, erhöhten Leberenzymen im Serum oder gastrointestinalen und neurologischen Störungen. Weitere Hinweise resultieren aus alkoholkorrelierten psychiatrischen Auffälligkeiten (Angst, Depressionen etc.). Auch persistierende Probleme am Arbeitsplatz, häufige Unfälle oder entsprechende Informationen durch Angehörige können diagnostisch relevant sein.
Riskanter Alkoholkonsum ist eher selten an den vorgenannten Merkmalen zu erkennen. Deshalb ist man in Modellkliniken und -praxen z.B. der USA und Australiens mit Erfolg dazu übergegangen, Patienten durch Arzthelfer*innen oder Ärzt*innen routinemäßig (ggf. nur bei Verdacht) einen kurzen Fragebogen ("Screeningtest"), der auch riskanten Konsum erkennen lässt, zur schriftlichen Beantwortung auszuhändigen. Der gegenwärtig tauglichste Screening-Fragebogen ist der von der WHO entwickelte AUDIT (Alcohol Use Disorders Identification Test, 10 Items). Er erfasst Trinkmenge, Trinkverhalten ("binge drinking") und negative Trinkfolgen. Jede Antwort zu den 10 Items erhält einen Punktwert von 0-4. Ein Summenwert von 8 oder mehr Punkten ist ein Indiz für problematischen Alkoholkonsum. Dieser Test kann hier ausgedruckt werden.

Bei positivem Screening-Befund bzw. entsprechender klinischer Symptomatik können Ausmaß und Folgen der alkoholbezogenen Probleme durch eine differenzierte Alkoholanamnese, eingehende körperliche und ggf. psychiatrische Untersuchungen sowie Erhebung von Laborwerten abgeklärt werden. In diesem Kontext ist auch eine Missbrauchs- bzw. Abhängigkeitsdiagnostik im Sinne von ICD-10 oder DSM-IV vorzunehmen. Eine ausführliche diagnostische Abklärung kann 1½ bis 2 Stunden dauern und ggf. durch einen auf Suchterkrankungen spezialisierten Arzt vorgenommen werden. Im Link Seminare und Weiterbildungen finden Sie z.B. Seminare zur Diagnostik von Alkoholproblemen als auch zum Motivational Interviewing - einer Methode, die es ermöglicht das Thema Alkohol anzusprechen, ohne Widerstand bei Patient*innen zu erzeugen.

2. Zielabklärung: Abstinenz oder kontrollierter Konsum?

Eine sinnvolle Zielentscheidung für Abstinenz oder kontrollierten Alkoholkonsum setzt Antworten auf zwei Fragen voraus:
Welche Erfolgsaussichten ergeben sich für Patient*innen beim Anstreben von kontrolliertem Trinken bzw. Abstinenz? (Erreichbarkeit des Ziels)
Welches Ziel präferiert der/die Patient*in? (Erwünschtheit des Ziels)
Hinsichtlich der Erreichbarkeit gibt es kein einzelnes Merkmal, das Gelingen oder Misslingen von Versuchen kontrollierten Trinkens determiniert. Es deutet sich aber an, dass schwere Entzugserscheinungen, ein geringes Zutrauen in das eigene Vermögen des kontrollierten Trinkens, eine schlechte soziale Einbindung und fehlende Unterstützung im sozialen Umfeld die Erfolgswahrscheinlichkeit von Bemühungen der Trinkkontrolle reduzieren. Allerdings ist zu bedenken, dass es eine Reihe widersprechender Studienergebnisse gibt und zudem nahezu die gleichen Faktoren auch die Erfolge von Abstinenzversuchen schmälern, so dass es problematisch ist, nach der vereinfachten Formel "riskanter Alkoholkonsum bzw. Alkoholmissbrauch = kontrolliertes Trinken möglich" und "Alkoholabhängigkeit = kontrolliertes Trinken unmöglich" zu verfahren.
Um so bedeutsamer wird es deshalb, das vom/von Patient*in favorisierte Ziel in Erfahrung zu bringen. In dieser Wertfrage der Wünschbarkeit eines Ziels ist Ärzt*innen oder Suchttherapeut*innen keine Expertenstellung gegeben, da es weder Aufgabe noch Möglichkeit von Medizin ist festzulegen, was jemand wollen sollte (vgl. bereits Max Weber). Ausführliche Hinweise zu Indikation und Kontraindikation finden sie im Link "Indikation und Kontraindikation"


3. Behandlung mit dem Ziel des kontrollierten Trinkens

Zur Förderung des kontrollierten Trinkens sind im ärztlichen Kontext unterschiedlich zeit- und personalintensive Interventionen möglich:

3.1 Sensibilisierung durch schriftliches Material.
Patient*innen können ohne personellen Aufwand durch Plakate, ausliegende Faltblätter oder Broschüren für ihren Alkoholkonsum sensibilisiert werden. Die Informationen können Hinweise auf international als weitgehend unschädlich betrachtete Konsummengen, Empfehlungen zu moderaten Konsumgepflogenheiten, Indikationen für Punktnüchternheit, Tabellen mit den Standgetränkeeinheiten verschiedener Alkoholika, Trink-Tagebücher zur Selbstüberprüfung des eigenen Konsums u.a.m. enthalten. Wie aus der Forschung zu Autoremissionsprozessen bekannt ist, werden bei bereits änderungsbereiten Patient*innen durch derartige schriftliche Anstöße Trinkmengenreduktionen begünstigt. Für andere Patient*innen können schriftliche Informationen die Änderungsbereitschaft fördern und insbesondere in Kombination mit den im Folgenden ausgeführten mündlichen Interventionen Verhaltensänderungen begünstigen.
Informationen dieser Art werden z.B. von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, der Deutschen Hauptstelle gegen die Suchtgefahren und auch von einzelnen Krankenkassen zur Verfügung gestellt. Leider fehlt bei vielen dieser Publikationen der Hinweis auf die Option des kontrollierten Trinkens.

3.2 Qualifizierte ärztliche Empfehlung ("Ratschlag").
Im Falle einer kurzen, qualifizierten Empfehlung wird Patient*innen angeraten, entsprechend den Richtlinien der WHO täglich nicht über 20g (Frauen) bzw. 30-40g (Männer) Alkohol zu konsumieren und gemäß den Empfehlungen der British Medical Association 1-2 abstinente Tage pro Woche einzulegen. Es erfolgen dabei keine dezidierten Anleitungen, wie moderates Trinken zu praktizieren ist. Derartige allgemeine Empfehlungen können effektiv sein, wenn sie in einen motivierenden Gesprächsstil eingebettet und die Patient*innen in der Lage sind, anhand der minimalen ärztlichen Anregungen ihr Trinkverhalten weitgehend selbstständig umzustellen. Im Rahmen der WHO Collaborative Studies konnte belegt werden, dass Patient*innen nach einer strukturierten, motivierenden 5-Minuten-Intervention ihren Alkoholkonsum um 27,5% reduzierten. Die Intervention beinhaltete Feedback über den Alkoholkonsum und Vergleich mit Norm- bzw. Richtwerten, die Erklärung der Maßeinheit "Standardgetränk", die Ermutigung, den Alkoholkonsum an den internationalen Grenzwerten auszurichten sowie die Aushändigung einer Broschüre mit der Beschreibung der gesundheitlichen Auswirkungen des Alkoholkonsums.

3.3 Ärztlicher Ratschlag plus schriftliches Selbstkontrollprogramm.
Erscheint eine schlichte Reduktionsempfehlung unzureichend, der/die Patient*in aber gleichzeitig diszipliniert und in der Lage, seinen Alkoholkonsum mittels ausführlicher schriftlicher Anleitungen kontrollieren zu können, kann ihm ein autodidaktisch zu bearbeitendes Selbstkontrollmanual wie das "10-Schritte-Programm zur selbstständigen Reduktion des Alkoholkonsums" empfohlen werden. Dieses Programm enthält alle Bestandteile, die auch in international verbreiteten Selbstkontrolltrainings ("Behavioral Self-Control-Trainings") enthalten sind: Das Programm umfasst ca. 100 Seiten sowie einen Anhang mit Arbeits- und Informationsblättern. Zur Durcharbeitung und praktischen Umsetzung der 10 Schritte sind ca. drei Monate einzuplanen. Informationsmaterial zur Auslage in der Praxis und zur gezielten Weitergabe an Betroffene kann im Link "Anforderung von Infomaterial" kostenlos angefordert werden.

3.4 Abfolge ärztlicher Gespräche entlang eines Leitfadens.
Die Aneignung von kontrolliertem Trinken kann auch durch kontinuierliche ärztliche Gespräche entlang eines kurzen schriftlichen Arbeitsheftes für Patient*innen und einer Begleitbroschüre für den Arzt erfolgen. Ähnlich wie in den WHO Collaborative Studies ("20-Minuten-Intervention") sowie den großen US-amerikanischen Modellprogrammen "TREAT" und "HEALTH" wird das deutsche Arbeitsheft auf ca. 15 Seiten Anleitungen zur Trink-Tagebuch-Führung und Bilanzierung des bisherigen Alkoholkonsums, Informationen über risikoarmen Konsum, Checklisten zu realistischer Zielsetzung und zur Identifizierung von Risikosituationen, Empfehlungen zu Kontrollstrategien usw. umfassen. Die Arztbroschüre gestattet zusätzlich Eintragungen zu Gesprächsverlauf, "Hausaufgaben", Laborwerten etc.

Derartige Interventionen erweisen sich meist als erfolgreich: Sowohl der Alkoholkonsum im allgemeinen als auch die exzessiven Trinkphasen im speziellen reduzieren sich signifikant, die Aufnahme weitergehender Suchtbehandlung und Kosteneinsparungen werden gefördert (z.B. geringere Folgebehandlungskosten und Arbeitsausfallzeiten). Auch niedergelassene Ärzte berichten über positive Erfahrungen mit der strukturierten Vermittlung von kontrolliertem Trinken, so z.B. McMenamin in Neuseeland und Monheit in Australien, letzterer auch bei Methadonpatienten.
Das deutsche Programm zur Kurzintervention wird von der Projektgruppe kT unter wissenschaftlicher Leitung von Prof. Dr. Körkel erstellt und im Jahr 2003 zur Verfügung stehen.

3.5 Intensivere Gruppenprogramme.
Für einen Teil der reduktionswilligen Patient*innen werden bei ihrem Bemühen um Konsumkontrolle zeitlich ausgedehntere Kontrollprogramme mit therapeutischer Unterstützung notwendig. Eine intensivere Unterstützungsform stellt das "Ambulante Gruppenprogramm zum kontrollierten Trinken (AkT)" dar. Es wird durch entsprechend geschulte Ärzte, Psychologische Psychotherapeuten oder Suchtfachkräfte angeboten. Das AkT wurde erstmals im Oktober 1999 an der Psychosozialen Beratungs- und Behandlungsstelle für Suchtkranke des Caritasverbandes Nürnberg durchgeführt. Seit April 2001 finden in Deutschland und der Schweiz Trainerkurse zum AkT statt, wozu ein umfangreiches AkT-Trainermanual mit Durchführungshinweisen und Zeitangaben für die einzelnen Abschnitte jeder Sitzung, Arbeits- und Informationsbögen sowie Beschreibungen der notwendigen Rahmenbedingungen für die Trainingsdurchführung (z.B. Visualisierungshilfen wie Overhead oder Flip-ChddlArt) gehört. In Folge der Trainingskurse wird das AkT inzwischen in verschiedenen Städten angeboten ("AkT-Termine").

4. Resümee

Ein Gesundheitssystem, das daran interessiert ist, breite Teile von Menschen mit riskantem oder schädigendem Alkoholkonsum anzusprechen, muss unterschiedliche Behandlungsziele und differente Wege zur Zielerreichung - und das heißt auch Reduktionsangebote - vorhalten. Die Option des kontrollierten Trinkens verspricht, dass Patienten, die bzgl. ihres Alkoholkonsums änderungs-, aber nicht abstinenzbereit sind, besser erreicht werden und beginnen, ihren Änderungsvorsatz in die Tat umzusetzen. Eine glaubwürdige und kompetente Unterstützung von Patienten beim Anstreben des kontrollierten Trinkens kann sodann einen Teil von ihnen befähigen, dieses Ziel zu erreichen, und einem anderen Teil verdeutlichen, dass für ihn die völlige Alkoholabstinenz das realisierbarere Ziel darstellt. In diesem Sinne kann kontrolliertes Trinken entweder ein realistisches Ziel oder ein lehrreiches Zwischenstadium auf dem Weg zur Abstinenz darstellen.

5. Literatur

In der "Literaturliste" finden Sie weiterführende Beiträge. Hinweisen möchten wir Sie insbesondere auf folgenden Artikel:
Körkel, J. (2002a). Kontrolliertes Trinken als neue Behandlungsoption. Neurotransmitter, 13 (1), 63-68.

6. Seminarempfehlung

Insbesondere möchten auf das Seminar "Kurzintervention" hinweisen. Das Seminar vermittelt ein abgestuftes Interventionsverfahren für den Umgang mit KlientInnen die im Rahmen einer psychotherapeutischen oder ärztlichen Behandlung riskanten Alkoholkonsum, Missbrauch oder Alkoholabhängigkeit aufweisen.

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